
Virtuelle Suche nach Arzneimittel
Die Theorien von Charles Darwin sollen per Computer auf dem Weg
der "irrationalen Suche" nach neuen Arzneimitteln die nächste Epoche in der
Pharma-Industrie einläuten. Auf dem Bildschirm erscheint "künstliches Leben"
(artificial life oder a-life). Es wird per Rechenprogramm einer Computer-Evolution
unterzogen. Und im Sinn der Selbstorganisation entstehen neue Verbindungen und Moleküle,
die als Medikamente dienen sollen. Der Nebeneffekt: Mit solchen Computerprogrammen könnte
man auch die Entstehung des Lebens - die gesamte Evolution - simulieren. Die Techniken zur
Entdeckung von Wirksubstanzen für Arzneimittel werden immer kurzlebiger: Bis in jüngere
Vergangenheit versuchte man, im Schrotschußverfahren zum Beispiel möglichst viele
Pflanzen zu sammeln und sie dann langsam auf die enthaltenen Substanzen und deren
Wirkungen zu testen. Das "neue" Antikrebs-Mittel Taxol zum Beispiel wurde schon
vor Jahrzehnten in der Form von Rinden-Proben der pazifischen Eibe in den USA entdeckt. Es
dauerte Jahre über Jahre, bis daraus ein Arzneimittel wurde. Vor einigen Jahren kam das
"Rationale Arzneimittel-Design" auf. Nach der Klärung des Aussehens eines
möglichen Wirkungsortes für ein Medikament, "basteln" die Pharma-Chemiker am
Computer-Bildschirm Moleküle, die dazu passen. Doch die mit dieser Strategie erzielten
Durchbrüche sind bisher rar geblieben. Als Reaktion auf die Schwierigkeiten mit dem
"Rationalen Arzneimittel-Design" kommt sei kurzem die Roboter-unterstützte
Austestung von Substanzen auf ihre Wirkung in Zellen auf. Tag und Nacht
"schippern" Roboter tausende über tausende bekannte Stoffe - zum Teil lagern
sie schon seit Jahren in den Schubladen der Pharma-Konzerne -, um deren Effekt auf
verschiedene Zellen zu untersuchen. Einen Quantensprung soll die kombinatorische Chemie
liefern, die gerade erst an die Schwelle des industriellen Einsatzes gekommen ist. Binnen
weniger Stunden werden zufallsartig von einem Ur-Molekül hunderte, tausende, ja sogar
Millionen Ableitungen hergestellt. Doch auch die müssen erst auf ihre Wirkung getestet
werden.
Einen völlig neuen Weg geht das "irrationale Arzneimittel-Design".
Wissenschafter wie zum Beispiel Gene Levinson vom Genetics & IVF-Institut in Fairfex
(US-Bundesstaat Virginia) "bestellen" im Computer einfach die passenden
Substanzen, indem sie per EDV vorgeben, wie diese auszusehen und wie sie zu wirken
hätten. Aus kleinen Unter-Bestandteilen setzt der Rechner im Laufe einer
"Evolution" unter Auswahldruck (Selektion) eines künstlichen
"Ökosystems" dann die passenden Verbindungen zusammen. Wie der amerikanische
"artificial life"-Experte Gene Levinson in der Februar-Ausgabe der
Fachzeitschrift "Biotechnology" beschreibt, gehen diese Arbeiten auf ein Buch
des US-Fachmanns John Holland mit dem Titel "Adaptation in natürlichen und
künstlichen Systemen" zurück. Dabei wird davon ausgegangen, daß die Evolution von
Lebewesen durch die von Generation zu Generation neu erfolgende Zusammensetzung von Genen
unter Darwins Selektionsbedingungen in Gang gehalten wird. Levinson hat dazu das
Computer-Programm "Polycube" geschrieben. Es stellt roh die Entwicklung eines
passenden Arzneimittel-Wirkstoffs durch immer neue Änderungen im Rahmen einer
"Evolution" dar. Im Computersystem sind 100 "Ketten" von jeweils 36
Würfeln mit verschieden gefärbten Flächen vorhanden. Die Aufgabe ist es, eine solche
Kette zu schaffen, bei der 34 der 36 Kuben jeweils mit ihrer grauen Außenseite zum
Betrachter am Monitor "schauen".
Virtuelle Tierversuche mit "MacFrog"
Zwei Alternativen zu Tierversuchen in der Hochschule stellten
Professoren und Studenten in Marburg vor. An den Universitäten in Marburg und Frankfurt
wurden in den letzten Jahren Lehrmethoden entwickelt, die die Tötung und Sezierung von
Fröschen überflüssig machen. War es bisher üblich, daß ein Frosch "frisch"
getötet werden mußte, damit der Medizinstudent die Funktionsweisen von Nerven und
Muskeln anschaulich erleben konnte, wurde an der Frankfurt Universität im vergangenen
Jahrzehnt ein Meßgerät als Alternative entwickelt. Ein Student kann nun die Wirkung von
Nerven auf Muskeln erkunden, indem er seinen eigenen Unterarm mit Stromstößen traktiert.
Die Stromimpulse regen einen Nerv an und bringen so einen Muskel am Daumen zum Zucken. Die
Zuckungen werden auf das Gerät und seine mechanischen Meßfühler übertragen und auf
einem Bildschirm grafisch dargestellt. Eine Rosenheimer Firma will das Gerät produzieren
und für umgerechnet rund 280.000 Schilling vertreiben. Eine Alternative zu Tier- und
Selbstversuchen stellt das an der Universität Marburg unter der Regie von Professor
Karl-Heinz Voigt entwickelte Computerprogramm "MacFrog" dar. Es ist seit etwa
zweieinhalb Jahren im Einsatz und wurde seither konstant fortentwickelt. Dabei werden
Videopräsentationen mit einer Computersimulation verbunden. Gedacht ist
"MacFrog" für den Einsatz im vorklinischen Physiologiepraktikum.
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